Und zu Pfingsten kamen die Feuerzungen auf die Erde… denn: Erkenntnis kann sich auf viele Weisen zeigen. Es muss nicht immer die sanfte Erleuchtung sein, es kann auch die laute Erkenntnis sein, die mir entgegen schlägt.
Wer es bisher noch nicht erkannt hatte, der konnte es letztes Wochenende nicht mehr übersehen – die USA haben uns einen Spiegel vorgehalten. Uns? Ja, uns. Denn das, was wir in den USA beobachten, die systemische Ungleichheit, der systematische Rassismus, die niemals endende Kolonialisierung und Unterdrückung sind auch Teil unseres Lebens. Auch hier in Europa und Deutschland profitieren wir als weiße Menschen von den Vorzügen dieses Systems, welches uns zur „ersten Welt“ gemacht hat.
Und ja, diese Erkenntnis kann unangenehm sein, doch sie ist notwendig. Und wer sich jetzt noch vor ihr verschließt, der hat im wahrsten Sinne des Wortes den Knall nicht gehört.
Spiritualität ist kein Wohlstands-Wohlfühl-Konsumgut
Ich weiß, dass es in der spirituellen Community oder Szene die Propaganda von ewigem Licht und Liebe gibt. Ich weiß, dass behauptet wird, ich müsste mich einfach immer nur auf das Licht fokussieren, dann wird alles gut. In dem Moment, wo „the shit hits the fan“, ist es jedoch egal, in welche Richtung ich mich drehe. Ewiges „Love & Light“ ist knallhartes Spiritual Bypassing. Ich weiß, wir hatten einige dieser Themen schon zum Anfang der Pandemie auf dem Tablet, er kann ermüdend sein, sie immer wieder zu hören. Doch solange wir nicht alles es verstanden haben, ist es meiner Meinung nach wichtig es immer wieder anzusprechen.
Genauso wie Rassismus und Diskriminierung. Nur weil wir einmal darüber gesprochen haben und im Nebensatz anerkannten, dass es Menschen gibt, die diese negative Energie in sich tragen, um uns dann wieder auf unser Meditationskissen unterm Traumfänger zu verziehen, verändern wir nicht. Schlimmer noch: wir unterstützen diese systemischen Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten.
Spiritualität ist kein Wohlstands-Wohlfühl-Konsumgut. Wahre Spiritualität findet eben nicht nur in der Blase und hübsch arrangiert zwischen dem neusten Kartenset und den hippen Räucherstäbchen statt.
Wer mit weißer Kreide auf eine weiße Tafel schreibt, kann nichts sehen.
Jiddu Krishnamurti
Die Gewaltfreiheit im Yoga habe ich als Gewaltfreiheit auf allen Ebenen verstanden, was auch emotionale und spirituelle Gewalt und Missbrauch mit einbezieht. Wir haben es uns in der weißen spirituellen Wohlfühlblase bequem gemacht. Und ich kann es sogar verstehen, denn es sieht dort sehr schön aus – so instagrammable – und ich glaube auch immer, dass es dort frisch und blumig riecht. Auch in meinem Leben gab es eine Phase, in der ich zu dieser Blase gehören wollte, die Frauen dort, waren irgendwie all das, was ich nicht war. Ihre Haare glänzten, ihre Smooties waren perfekt, sie hatten genug Zeit zum journaling und Karten ziehen in ihren wunderschön eingerichteten Wohnungen, nahmen sich wahnsinnig viel zeit für körperliche Betätigung, hatten alle Badewanen die sie jeden Abend für ein weiteres Blütenbad nutzen und wirkten so „sophisticated“ während sie sich nebenher noch mit den weltlichen Problemen auseinander setzten. Diese Welt sah so friedlich und vielversprechend aus. Vor allem, nachdem ich jahrelang alleine auf meinem schmutzigen Weg mit meinen Schatten gerungen hatte, mich durch den Scheiß meiner Ahnen buddelte und meine Haare nie so schön und mein Körper nicht so perfekt aussah…
Und so buchte ich mein Ticket. Ich reiste zu Masterclasses nach New York, Workshops nach L.A. und besuchte Seminare in Berlin. Und für kurze Momente schien es mir, als ob dies die Community war, nach der ich gesucht hatte. Jedoch waren die Momente der Verwirrung und der Verwunderung größer. Jedoch konnte ich damals noch nicht genau sagen, was da eigentlich los war, dachte es läge an mir, bemühte mich weiter und merkte dann: dies ist nicht mein „Tribe“. Ich bin kein Junkie, hatte ich mich doch gerade durch meine Co-Abhängigkeit gearbeitet. Nachdem ich meine affirmations-gebrainwashtes Gehirn wieder klar bekommen hatte spürte ich, was mich wirklich verwirrte: das System, welches Love & Light predigte, war durchzogen von patriarchalen Strukturen, ungesunden Hierarchien, toxischen Botschaften und es handelte sich hier um Spiritualismus in Reinform.
Spiritualismus entsteht, wenn Spiritualität vom Kapitalismus kolonialisiert wird
Die Zeit, die so von Licht und Liebe erfüllt war, war die mit dunkelste in meinen spirituellen Ausflügen. Warum ich das teile? Auch ich brauchte einen Moment zu verstehen, dass es ein System gibt, welches sich spirituell nennt, jedoch durchzogen ist von weißem Privileg, weißer Vorherrschaft und totaler Egozentrik. Ein System, in dem der Ursprung von Botschaften nicht zitiert wurde, in dem es keine kulturelle Anerkennung gab, in dem es nicht um das Große Ganze, sondern um die Eine geht. Es dauerte für mich das zu erkennen, da ich von diesem System profitierte, solange es von mir profitierte selbstverständlich. Ich in Situationen war, wo ich mich in einer homogenen Gruppe befand, was den Wohlfühlfaktor deutlich anhebt und auch das Gefühl von Sicherheit. Wo ich „uplifted“ wurde, anstatt in die Unterwelt zu schauen. Es waren süße Momente eine bitteren Illusion. Und ich bin dankbar für jeden einzelnen Moment. Ich habe Freundschaften geschlossen mit ganz wunderbaren Menschen, die mit mir aus der Blase heraus sind und ich habe verstanden, dass Spiritualität ein sehr dehnbare Begriff ist.
Hast du es manifestiert oder war es weißes Privileg?
Wenn wir nun dieser Tage den Blick in die USA werfen, dann ist es wichtig zu erkennen, dass das, was wir sehen unangenehm und unbequem sein kann. Die Kultur, die wir bis Donald Trump so verherrlicht hatten, zeigt uns ihre echte Fratze. Das gibt es etwas jenseits vom Kaugummi und den Nylonstrümpfen der Nachkriegszeit, vor dem wir als weiße Europäer lange die Augen verschlossen haben, wenn wir auf Goop nach neuen Trends stöberten oder das nächste spirituelle Selbsthilfe Buch ( was in Wirklichkeit nie uns helfen sollte, sondern demjenigen der er vermarktete) vom nächsten weißen Young Spiritual Influencer bestellten. Wir haben uns blenden lassen von dem goldenen M, und beruhigen lassen von der Tatsache, dass ein Schwarzer Präsident wird und einlullen lassen von dem Fakt, dass Oprah die erfolgreichste Entertainerin ist. Und so haben wir einfach so getan, als ob die USA immer schon von weißen Menschen bevölkert waren, unsere Winnetou-Wahnvorstellungen romantisierend auf die Lebensrealität von Native Americans übertragen und schwarze Musik als Beweis dafür gefeiert, dass wir alle gemeinsam auf dem gleichen Dancefloor tanzen.
Es bewegt uns, weil es in uns ist
Doch spätestens jetzt hat uns die Realität eingeholt, wenn wir uns nicht unter unserer Lavendel-Schlafmaske versteckt haben. Und sie ist dreckig, brutal, unangenehm. Und irgendwie hilft es nicht mehr so zu tun, als ob das alles nichts mit uns zu tun hat. Denn dass, was wir in den USA sehen, passiert auch hier. Der Rassismus existiert. Und weil wir das spüren – auch wenn alle Menschen gleich sind – ist es so unangenehm. Es kommt eine Ahnung dessen auf, was wir ausgeblendet haben. Ein Gefühl, dass wir eben nicht besser sind, die besseren der weißen Menschen, sondern dass es Zeit ist, das Meditationskissen unterm Traumfänger zu verlassen, den Kurs im Wundern zur Seite zu legen und „Me and White Supremacy“ oder „Deutschland schwarz-weiß“ zu bestellen. Und uns an die Arbeit zu machen. Denn Antirassismus ist spirituelle Arbeit. Unseren eigenen Schatten anschauen ist spirituelle Arbeit. Spiritualität ist Arbeit. Es ist eine Entscheidung.
Spiritualität kann nicht einfach nur konsumiert werden, auch wenn uns das in den letzten Jahrzehnten so verkauft wurde. Eine Astrologieberatung buchen ist keine spirituelle Arbeit. Entscheidend ist, was danach passiert. Im Women Circle sitzen kann guttun, die Arbeit passiert jedoch, wenn ich ihn verlasse.
Wir haben soviel vom Zeitalter des Wassermann gehört, zu Beginn der Pandemie über den Beginn des neuen Zeitalter fantasiert. Und können wir uns kurz daran erinnern, worum es beim Wassermannzeitalter ging? Geschwisterlichkeit! Eines ist jedoch klar: Wer von uns auf einen Sonnenstrahl von oben gewartet hat, um die neue Zeit einzuleiten, hat sich getäuscht. Das große Erwachen ist jetzt. In diesem Moment. Es ist kein pinkes Einhorn oder eine Lichtgestalt, die vom Himmel kommt und dir einen Kristall in die Hand legt. Es ist die unübersehbare ungemütliche Ungerechtigkeit, die uns einlädt uns zu erheben.
„Es ist das schwärzeste Schwarz, aus dem das Gold entstehen kann.“
Philip Carr-Gomm
Das Wissen um die uralte Alchemie. Solange wir den Blick nur ins Licht richten, werden wir das Gold nicht bergen.
Zeit die Ärmel hochzukrempeln
Das goldene Zeitalter wird nicht passieren. Wir sind eingeladen hinzuschauen. Jetzt. In unserer eigene Dunkelheit. Und ja, auch ich habe noch viele Hausaufgaben zu machen, viel zu verlernen und unangenehme Momente mit mir selber vor mir. Denn auch ich bin in diesem System aufgewachsen und habe von ihm profitiert – die Ausmaße sind mir wahrscheinlich noch nicht komplett klar. Ich habe dieses Wochenende reflektiert und viele Momente gesehen, bei denen ich rückblickend unangenehm berührt bin. Und es ist an mir, diese unbequemen Emotionen auszuhalten, dadurch zu gehen und aus ihnen zu lernen. Denn: in der spirituellen Arbeit, die ich bisher gemacht habe, gab es nie einen Belohnungskeks von außen. Sondern immer nur die Erkenntnis, dass ich etwas neues über mich gelernt habe, dass ich etwas Altes transformieren konnte, dass ich die Zukunft verändern kann. Sobald ich dieser Arbeit mache, um dafür belohnt zu werden, sollte ich checken, wozu ich sie wirklich mache.
Es ist Zeit unsere Sicht der Dinge zu hinterfragen. Es ist Zeit unsere eingefahrenen Verhaltensweisen in Frage zu stellen. Es ist Zeit unsere Ahnenlinien zu heilen. Es ist Zeit die Traumata anzuschauen und zu erlösen, die uns dazu bringen die gleichen Dinge immer wieder zu tun. Es ist Zeit die ungemütliche Arbeit zu machen. Damit wir alle gemeinsam in ein neues Zeitalter schreiten können. Es liegt an jeder von uns, ob es wirklich das goldene wird.