Seite wählen

Diese Woche hat es mich persönlich mehrfach erwischt – ich habe selber Ratschläge bekommen darüber, wie ich zu sein hätte oder wie ich mich besser ausdrücken sollte. Ich habe von Freundinnen gehört, wie ihnen gesagt wurde, wie sie sich verhalten sollten. Und: vor allem wie wir uns als Frauen zu verhalten haben.

Grundsätzlich bin ich es als Frau ja schon gewöhnt, dass an mir, meinem Auftreten, meinem Körper, meiner Kleidung, meiner Meinung, meinem Lachen, meiner Sprache und so vielem mehr herumkommentiert wird. Was mich diese Woche allerdings sprachlos gemacht hat – nur kurzzeitig, da ich tief Luft holen musste – war die Tatsache, dass es darum ging, wie wir uns als Frauen im Allgemeinen zu verhalten hätten. Und zwar von Frauen.

 

Time´s up

Zu lange wurde uns gesagt wir sollten weicher, sanfter, anschmiegsamer, folgsamer, freundlicher, verständnisvoller, zugänglicher, aufmerksamer und gefügsamer sein, um den Männern das Leben zu erleichtern.

In den letzten Tagen sind mir wieder vermehrt Aussagen wie: „Wir Frauen müssen weicher werden.“ „Als Frauen ist es total wichtig auch den Männern den Raum zu geben.“ „Wir müssen als Frauen auch die Männer mitnehmen.“ „Vielleicht solltest du dich weniger auf Frauen fokussieren, sondern auch an die Männer denken.“ „Total viele Männer sind durch die aktuellen Ereignisse voll verunsichert. Das musst du auch berücksichtigen.“ begegnet. Wenn du jetzt auch tief Luft holst – willkommen Schwester!

Wenn du dich fragst, warum ich emotional aufgerührt bin, dann möchte ich es dir gerne erklären. Aktuell beobachten wir eine neue Bewegung der Frauen. Frauen trauen sich lauter zu werden, trauen sich mit dem Finger auf Unrecht zu zeigen, trauen sich die Verbrechen, die ihnen widerfahren sind öffentlich zu äußern. Frauen beginnen wieder für Frauen einzustehen und sich in einer Art und Weise solidarisch zu zeigen, wie wir es in dem Ausmaß lange nicht erlebt haben. Schaut man in die USA, so hat Trump alleine durch sein Sein eine riesige Bewegung losgetreten, vor der es sogar dem ehemaligen Trump-Vertrauten und Chefeinflüsterer Steve Bannon Angst und Bange wird.

 

Lebenswelten und ihre Grenzen

Auf einmal werde Dinge benannt, die jahrelang hinter verschlossenen Bürotüren stattgefunden haben, was nicht heißt, dass sie nicht existierten nur weil wir sie nicht sahen. Wir teilen Erfahrungen, die für viele Männer unvorstellbar sind, was nicht bedeutet, dass sie nicht passierten, nur weil sie bar jeglicher Vorstellung in einen anderen Lebenswelt sind. Frauen berichten von ihrem Alltag, welcher so signifikant anders ist als der von – vor allem weißen – Männern. Was nicht bedeutet, dass diese Momente Ausnahmen sind, nur weil sie Anderen eben nie widerfahren.

Wenn ich als Frau in einer Zeit wie dieser wieder lauter werde, konsequenter in meinen Forderungen auftrete – die zumeist ja wirklich nur die gleiche Behandlung, Gleichberechtigung und Gleichstellung aller Geschlechter (ja, es gibt mehr als eines) und Bevölkerungsgruppen – und mich lautstark und aus tiefem Herzen mit Frauen solidarisiere mit denen ich auf den ersten Blick nichts gemeinsam habe, dann ist das eine logische Schlussfolgerung aus all den Dingen, die sich in den letzten Jahren und Jahrhunderten ereignet haben. Und ja, es ist eine Ansage an das Patriarchat, welches als System von Männern für Männer erschaffen wurde und keinerlei Interesse an einem wahrlich gleich verteilten Zugang zur Macht hat.

Wenn mir dann jemand sagt, ich müsste sanfter oder weicher sein, denn soviel Männer seien aktuell verunsichert und wissen nicht mehr wie sie sich verhalten sollen, dann bleibt mir kurz die Luft weg. Wenn ich zu hören bekomme, ich muss jetzt mal zurücktreten und den Männern mehr Raum geben, denn sie tragen auch total viel Schmerz in sich, dann bin ich wirklich sprachlos. Wenn Menschen und Männer den Anspruch stellen meine Arbeit eindringen zu können und die Ausschließlichkeit von Frauen in Gruppenformaten in Frage zu stellen, denn Männer brauchten doch auch einen Raum, dann frage ich mich manchmal wirklich: was ist hier eigentlich los?!?!

 

Das Gas anzünden

Denn: Sobald wir einer Frau einen „wohlgemeinten“ Verhaltensratschlag geben, der sich auf die Tatsache bezieht, dass sie angeblich zu laut, zu einnehmen und vor allem rücksichtslos gegenüber Männern ist, betreiben wir aktives „Gaslighting“ – wir beleuchten das Gas im wahrsten Sinne des Wortes.

Als Gaslighting wird in der Psychologie eine spezifische Art von psychischer Gewalt bzw. Missbrauch bezeichnet, mit der die Opfer gezielt desorientiert, manipuliert und zutiefst verunsichert werden und damit ihr Realitäts- und Selbstbewusstsein Schritt für Schritt deformiert bzw. zerstört wird. Seit den 1960er Jahren wird Gaslighting als Begriff auch verwendet, um die Bemühungen zu beschreiben, jemandes Wahrnehmung der Realität zu manipulieren.

Was bei all den oben genannten Beispielen geschieht ist eine bewusste Verschiebung der Realität. Frauen werden gezielt verunsichert und somit aus ihrer Kraft und Stärke geholt. Indem wir den Fokus auf einmal auf die Männer richten – und so ganz nebenbei, Trumps Strategie ist exakt die gleiche – verschieben wir die Realität. Wir tun so, als ob das was Frauen an Diskriminierung, Sexismus und Benachteiligung erfahren nicht so schlimm ist, wir holen die Gruppe in den Vordergrund, die faktisch in der Powerposition ist und stellen sie als Opfer dar.

Das gefährliche daran ist, dass wir damit Realitäten nicht nur verschieben, sondern die Emotionen und die Erlebnisse der Frauen, die sich äußern anzweifeln und in Frage stellen. Wir negieren die Aussagen – eine Praxis, die zwischen 1450 und 1750 dafür gesorgt hat, dass Millionen von Frauen ermordet und verbrannt wurden.

 

Wenn Frauen das Feuer anzünden

Bevor der Shitstrom losgeht: ich sehe durchaus, dass auch Männer nicht glücklich mit der aktuellen Situation sind. Ich kann den Schmerz vieler Männer spüren, durch meine Arbeit sind mir persönliche und intergenerationale Traumata von Männern durchaus bekannt – Überraschung! Ich arbeite im 1:1 immer wieder mit Männern und das auch sehr gerne – und ja, ich verstehe auch, dass wir am Ende nur gemeinsam diese Gesellschaft verändern können.

Doch: wenn wir noch nicht einmal im 21. Jahrhundert Frauen einen Raum geben können, um ihre Erlebnisse und Wahrnehmungen zu teilen und für Gleichberechtigung einzustehen, dann können wir nicht wirklich gemeinsam gehen. Wenn Männer meinen sie sind verunsichert wie sie sich verhalten sollen bei all dem #metoo – dann kann ich nur sagen, dass jemand der darüber nachdenken muss wahrscheinlich Grund dazu hat. Wenn wir auf Frauenveranstaltungen es noch nicht mal eine Stunde schaffen nicht über Männer zu reden dann haben wir ein Problem.

Und was mich am tiefsten trifft ist die Tatsache, dass es Frauen sind, die andere Frauen gaslighten. Dass wir anscheinend immer noch so sehr in dem alten Muster verfangen sind, dass wir lieber brav und lieb sind, als laut und unbequem. Dass sie Solidarität mit denjenigen die die Macht haben sich sicherer anfühlt, als bei denjenigen zu stehen, die die Wahrheit sprechen.

 

Epigenetik statt Feenstaub

Ein Teil meiner Arbeit ist es, genau dorthin zu schauen. Nicht mehr an den Symptomen zu drehen, sondern die Wurzeln zu sehen. Und der Epigenetik durch die Generationen hinweg in die Vergangenheit zu folgen, wo Traumata unserer Ahninnen sitzen, welche sich noch in unseren Zellen befinden. Welche besagen, dass wir lieber still sind als stark und dass lauter werden lebensbedrohlich ist. Dass Männer der Mittelpunkt der Welt sind und Frauen schauen müssen, wie sie überleben. Dass Mein Körper nicht mir gehört, sondern meinem Ehemann. Dass es erstrebenswert ist einen Mann zu haben, ihn zu halten und ihm zu gefallen und damit jede andere Frau eine potentielle Konkurrenz für mich ist.

Ist es unbequem dorthin zu gehen? Wahrscheinlich. Ist es unsexy sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Wahrscheinlich. Ist es blöd zu erkennen, dass man auch Täter ist? Ziemlich sicher. Doch es ist der einzige Weg, um wirklich zu verstehen, warum wir uns immer wieder in der gleichen Spirale befinden. Es ist ein Weg der mit Sicherheit nicht voller Happy Moments, higher self highs und Feenstaub (und ich liebe Feen) ist – und dennoch ist es der Weg, der uns am Ende alle befreien kann.

Denn: wenn wir Frauen es nicht schaffen zu erkennen, dass wir zusammenstehen sollten, warum sollte sich dann etwas ändern. Und wenn ich schon nicht vorne mit marschiere, was ok ist, dann sollte ich denjenigen die gehen keine Stöcke zwischen die Beine werfen. Und wenn eine Frau von ihren Erlebnissen aus ihrer Lebenswelt berichtet sollte ich den Schweinwerfer nicht auf eine andere deutlich privilegiertere Gruppe werfen und sie damit gaslighten.

Ich stehe hinter jeder Frau, die laut und mutig ist, die sich für andere Frauen und deren Rechte einsetzt, auch wenn ich nicht genau ihrer Meinung bin. Denn: Solidarität bedeutet nicht, dass ich genau so denken muss. Sondern dass ich ihr den Raum halte, während sie ihren mutigen Weg geht.

Es ist an der Zeit, dass wir aufhören anderen Frauen ungefragt Verhaltensvorschläge zu machen. Es ist an der Zeit, dass wir aufhören andere Frauen zu kleiner, weniger und leiser aufzufordern. Es ist an der Zeit zu erkennen, dass wir gemeinsam wirklich diese Welt verändern können.

Und wer das nicht will sollte sich ernsthaft fragen warum.

 

 

 

 

 

Photo by Sam Moghadam on Unsplash

 

Der Inhalt dieser Seite kann nicht kopiert werden.